Fachartikel von Claude Schwarz in der Schweizer Personalvorsorge, November 2020

Coronavirus - Die Perspektive des Lebensversicherers

Lebensversicherer sind trotz medizinischer Fortschritte noch immer mit dem Risiko erhöhter Sterblichkeit als Folge pandemischer Infektionskrankheiten konfrontiert. Pandemien wird es auch in Zukunft geben, doch lassen sich weder der konkrete Zeitpunkt noch die Auswirkungen auf Sterblichkeit und Invalidisierung prognostizieren. Wie kann sich ein Lebensversicherer vor diesem Hintergrund auf das Risiko Pandemie vorbereiten?

Das Sterblichkeitsrisiko ist im Laufe der letzten Jahrhunderte kleiner geworden. Doch Lebensversicherer sind trotz medizinischer Fortschritte wie Antibiotika, antiviraler Medikamente und Impfungen noch immer mit dem Risiko erhöhter Sterblichkeit aufgrund pandemischer Infektionskrankheiten konfrontiert. Influenza-Pandemien treten in unregelmässigen Abständen auf. Bereits 400 Jahre vor Christus beschrieb der griechische Mediziner Hippokrates eine Pandemie, und dank genauerer Aufzeichnungen haben wir seit dem Mittelalter relativ gute Pandemie-Kenntnisse.

In den letzten 300 Jahren wurden insgesamt 13 Influenza-Pandemien verzeichnet, die in unterschiedlichen Intervallen auftraten. Die Zeit zwischen zwei Pandemien variierte dabei zwischen 2 und 56 Jahren. Aufgrund der historischen Ereignisse liegt die Wahrscheinlichkeit einer globalen Pandemie bei 3 bis 4 Prozent pro Jahr. Nachdem die letzten Pandemien 2009 (Schweinegrippe), 1968/69 (Hongkong-Grippe), 1957/58 (Asiatische Grippe) und 1918 (Spanische Grippe) auftraten, reiht sich die aktuelle Sars-CoV-2-Pandemie gut in diese Periodizität ein.

Pandemien wird es auch in Zukunft geben, doch niemand weiss, wann und mit welchen Auswirkungen sie ausbrechen werden. Wie kann sich ein Lebensversicherer trotz dieser Ausgangslage auf das Risiko Pandemie vorbereiten?

Business Continuity Management: Notfallpläne müssen vorhanden sein
Zwingend ist, und das gilt für alle Firmen, zuerst einmal das Sicherstellen des operativen Betriebs des Unternehmens für den Fall, dass Mitarbeitende wegen verordneten Einschränkungen der Bewegungsfreiheit nicht zum Arbeitsplatz kommen können. Die Situation zu Beginn des Corona-Lockdowns hat gezeigt, dass ein effektives Business Continuity Management essenziell ist.

Wegen der hohen Mobilität der Bevölkerung verbreitet sich ein neues Virus heutzutage sehr schnell um den ganzen Erdball. Zur Eindämmung der Ausbreitung können drastische Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von heute auf morgen notwendig sein. Oft verbleibt im konkreten Fall kaum Zeit für Vorbereitungen, weshalb Notfallpläne bereit liegen müssen. Dank der fortschreitenden Digitalisierung der Arbeitswelt ist dieser Aspekt der Pandemiebewältigung zumindest im Dienstleistungssektor (Stichworte Homeoffice und Internet) mittlerweile aber relativ gut abgedeckt.

Versicherungstechnische Risiken: Sterblichkeit und Invalidität
Das offensichtlichste Risiko bei einer Pandemie ist für einen Lebensversicherer das Todesfallrisiko. Führt eine Pandemie zu einer erhöhten Sterblichkeit, hat dies bei Lebensversicherern unmittelbar eine erhöhte Zahl von Leistungen im Todesfall zur Folge. Lebensversicherungsprodukte bieten in der Regel für Todesfall wie auch für Invalidität aufgrund eines pandemischen Virus vollständigen Versicherungsschutz.

Einerseits ist genau die Absicherung gegen solche Risiken der Zweck der entsprechenden Risikoprodukte, andererseits ist es im Schadenfall aufgrund bestehender Vorerkrankungen und Gebrechen oft schwierig, einen kausalen Zusammenhang des Todes- beziehungsweise Invaliditätsfalls mit dem pandemischen Virus herzustellen.

Ansätze für ein Pandemie-Risikomanagement für Lebensversicherer
Wie angedeutet, kann zumindest die Eintretenswahrscheinlichkeit einer Pandemie grob abgeschätzt werden. Solvenzvorschriften geben Versicherungsgesellschaften vor, Risikokapital für das Pandemierisiko zu reservieren. Für dieses Risikokapital fallen Kapitalkosten an, die wiederum in den Prämien für die Risikoprodukte zu berücksichtigen sind. Mit anderen Worten: Lebensversicherer rechnen mit dem Auftreten von Pandemien und sorgen vor, indem sie ausreichend Kapital für dieses Ereignis reservieren. Kunden können daher auf den Schutz im Pandemiefall zählen. 

Das Pandemierisiko lässt sich für eine Versicherungsgesellschaft nicht durch internationale Diversifikation reduzieren, da eine Pandemie per definitionem global auftritt. Lebensversicherer können das Pandemierisiko je nach Risikoappetit und Risikofähigkeit des Unternehmens managen, indem sie einen Teil des Risikos an Rückversicherer zedieren. Da aber auch diese das Pandemierisiko schlecht diversifizieren können, sind gerade bei der für das Pandemierisiko sehr effizienten Stopp-Loss-Versicherung (Überschadenversicherung) kaum Kapazitäten vorhanden. 

Hilfreiche moderne Lösungen sind sogenannte Mortality Cat Bonds, mit denen das Pandemierisiko letztlich direkt an den Kapitalmarkt transferiert wird. Es wird interessant sein zu sehen, ob die aktuelle Sars-CoV-2-Pandemie eine Erhöhung der Sterblichkeit zur Folge haben wird, die letztlich zu Ausfällen bei den ausstehenden Mortality Cat Bonds führt. 

Ausblick: Risiken und Chancen für Lebensversicherer 
Das aktuelle Virus Sars-CoV-2 hat nicht nur Schäden in der Todesfallversicherung zur Folge. In der Personenversicherung, namentlich in der Krankentaggeldversicherung (KTG), wird es zu häufigeren und auch teureren Schäden aufgrund von Covid-19-Erkrankungen kommen. Zudem ist davon auszugehen, dass die von der Pandemie beeinträchtigte Wirtschaft auch indirekt zu einer erhöhten Schadenlast im KTG führen wird.

Was sich bereits im Kurzfristbereich von Invaliditätsprodukten abzeichnet, ist vermutlich denn auch erst ein Vorzeichen dessen, was die Lebensversicherer bei den Invaliditätsrentenprodukten zu erwarten haben: Es gibt mittlerweile bereits vermehrt Berichte über langanhaltende, durch Covid-19 verursachte Gesundheitsschädigungen, die eine Invalidisierung zur Folge haben können. Neben diesen zu erwartenden langfristigen Invaliditätsfällen wird auch das wirtschaftliche Umfeld durch die Pandemie leiden. Dies wiederum kann zu einem erhöhten Druck auf die Arbeitnehmenden führen, was in eine spürbare Zunahme von psychischen Erkrankungen und entsprechend von Invalidisierungen münden könnte. 

Eine Pandemie bringt für Lebensversicherungsgesellschaften neben Risiken aber auch Chancen. Denn in solchen Zeiten setzt sich die Bevölkerung vermehrt mit den Risiken Tod und Invalidität auseinander. Auch mögliche finanzielle Konsequenzen einer Ansteckung mit einem pandemischen Virus werden zum Thema. Für diese Risiken sollten Lebensversicherer den Versicherungsnehmern allfällige Deckungslücken aufzeigen und Lösungen mit entsprechenden Produkten zur Risikoabsicherung von Tod und Invalidität anbieten. Letztlich kann die Assekuranz damit einen wesentlichen Beitrag zu einer widerstandfähigeren Gesellschaft leisten.

Zur Person
Claude Schwarz
Chief Underwriting Officer

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