echo-Interview, November 2025

Unternehmen müssen sich mit dem Thema Schlaf befassen

ELIPSLIFE ECHO – EINE GESPRÄCHSSERIE MIT GESELLSCHAFTSVERTRETERN ZU KERNTHEMEN AUS DEM KTG- UND DEM UVG-ÖKOSYSTEM

echo-Interview mit Björn Rasch

echo-Interview mit Prof. Björn Rasch, Professor of Cognitive Biopsychology and Methods an der Universität Fribourg

Herr Rasch, Sie forschen zum Thema Schlaf. Auf ihrer Website steht, dass Gedanken und Emotionen unseren Schlaf beeinflussen. Können Sie uns den Zusammenhang erklären?
Wir Menschen sind gut darin, unseren Schlaf zu verschlechtern. Wir machen uns Sorgen, haben Ängste und tragen traumatische Ereignisse mit uns herum. Erinnerungen und Zukunftsbedenken beeinflussen den Schlaf stark. Wenn ich beispielsweise am nächsten Tag einen frühen Flug habe, schlafe ich eher schlecht oder wache sehr früh auf. Allein der Gedanke, diesen frühen Flug erreichen zu müssen, führt dazu, dass bestimmte Hormone vermehrt ausgeschüttet werden. Deshalb schlafe ich schlechter. Mentale Inhalte – Sorgen, Absichten, Ängste und Pläne – haben einen starken Einfluss auf den Schlaf und dieser Einfluss kann negativ, aber auch positiv im Sinne einer Schlafverbesserung sein.

Wird die Bedeutung des Schlafens unterschätzt?
Grundsätzlich ja. Zwar wird die Bedeutung des Schlafs heute höher eingeschätzt als noch vor 30 Jahren, wir gehen bewusster mit Faktoren wie Ernährung, Bewegung und Schlaf um. Zudem nutzen viele Menschen Schlaf-Tracker, was früher nicht möglich war. Schlaf hat also an Bedeutung gewonnen, allerdings auf noch immer niedrigem Niveau. Die Bedeutung des Schlafs wird auch heute noch zu wenig wahrgenommen.

Was prägt unser Schlafverhalten?
Schlaf und Schlafverhalten sind sehr individuell. So sorgen unsere Gene für ein grosses oder ein kleines Schlafbedürfnis und unsere Veranlagungen führen dazu, dass wir eher schnell oder eher langsam aufwachen. Aufgrund dieser Individualität gibt es keine allgemeingültigen Tipps zur Schlafverbesserung, denn solche Ratschläge sind immer nur für einige richtig, aber nicht für alle. Zudem prägen Erfahrungen – von der Kindheit bis zum aktuellen Lebensalter – unser Schlafverhalten. Schlaf reagiert immer als erstes auf Unstimmigkeiten oder Probleme und ist somit ein Frühindikator für Belastungen.

Hat das Konsumverhalten, insbesondere die Nutzung elektronischer Geräte, Einfluss auf die Schlafqualität?
Das Licht dieser Geräte hat eigentlich keinen Einfluss, auch wenn oft das Gegenteil behauptet wird. Auch die Nutzung kurz vor dem Zubettgehen macht nicht viel aus. Entscheidend ist nicht das Gerät, sondern was wir damit machen und wie wir die Inhalte interpretieren. Wenn ich mir einen Horrorfilm anschaue und der Film mich entspannt, schlafe ich danach wunderbar. Wenn ich aber vor dem Schlafengehen auf meinem Handy aufwühlende politische Kontroversen lese, schlafe ich schlecht. Natürlich beeinflusst unser Konsumverhalten unseren Schlaf, entscheidend sind jedoch die psychologischen Aspekte, also die Wirkung der Inhalte auf uns, nicht die Geräte.

Hat die Digitalisierung Auswirkungen auf unsere Schlafqualität?
In der Schweiz wird seit 25 Jahren alle fünf Jahre eine Gesundheitsbefragung durchgeführt, die unter anderem eine Frage zum Thema Schlaf beinhaltet. Diese Umfrage zeigt: Seit 25 Jahren geben etwa ein Drittel der Befragten an, unter Schlafstörungen zu leiden. Das ist viel, hat sich aber im Laufe der Zeit nicht signifikant geändert. Nur in den letzten fünf Jahren ist ein besorgniserregender Anstieg bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen erkennbar. Die Digitalisierung verändert jedoch unser Aufmerksamkeitssystem. Wir wechseln ständig zwischen verschiedenen Inhalten hin und her. In Pausen nutzen wir digitale Medien, während man sich früher hinsetzte und sich unterhielt. Dieses Phänomen beeinflusst den Schlaf, denn Einschlafen bedeutet Loslassen, Abschalten, „bewusstlos” werden.

Welche Folgen hat mangelnder oder schlechter Schlaf auf die mentale Gesundheit?
Die Auswirkungen sind gross und werden weiterhin unterschätzt – selbst von Fachleuten. Daten zeigen klar: Schlechter Schlaf kann das Risiko für Depressionen oder Angststörungen erhöhen. Schlaf ist ein Faktor, der sich nicht nur in Depressionen, Angstzuständen oder Traumata zeigt, sondern sich auch auf viele körperliche Erkrankungen auswirkt.

Ohne guten Schlaf kein gutes Leben?
Viele Daten belegen: Schlechter Schlaf kann Jahre später auftretende Leiden wie Alzheimer und Cognitive Decline vorhersagen. Auch das Burnout-Risiko ist erhöht, wenn man vorher über längere Zeit schlecht geschlafen hat. Das Gleiche gilt für Diabetes, Schlaganfall, Adipositas oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Selbst die Kardiologische Gesellschaft – keine progressive, sondern eher eine bewahrende Gesellschaft – hat neu Schlaf als einen zentralen Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufgenommen. Schlechter, kurzer Schlaf erhöht ausserdem das Risiko für Übergewicht und Fettleibigkeit, weil er die Hormonregulation für das Hungergefühl verändert und wir mehr Zucker zu uns nehmen wollen.

Wo bekommt eine Person Hilfe, die schlecht schläft?
Der erste Ansprechpartner ist sicherlich der Hausarzt. Allerdings verschreiben diese viel zu häufig Schlaftabletten. Zur Verteidigung der Hausärzte ist aber zu sagen, dass sie dies aus Mangel an Alternativen tun. Es gibt zu wenig Einrichtungen, wo Patienten mit Schlafstörungen hingeschickt werden können. Von 100 Menschen mit Insomnie-Diagnose erhält nur gerade eine Person eine Psychotherapie für Insomnie.

Während mentale Probleme oft tabuisiert werden, gehört das Wenig-Schlafen in vielen Gesellschaftskreisen beinahe zum guten Ton. Was sagen Sie zu jemandem, der damit prahlt, mit nur vier Stunden Schlaf auszukommen?
Es gibt tatsächlich Menschen, die mit sehr wenig Schlaf auskommen. Das Schlafverhalten ist individuell unterschiedlich. Es mag sein, dass jemand mit nur vier Stunden Schlaf auskommt. Problematisch ist jedoch, dass viele Menschen den Eindruck haben, sie bräuchten nur vier Stunden Schlaf, obwohl sie in Wahrheit viel mehr benötigen. Schlafmangel führt zu Konzentrationsverlust und erhöht die Wahrscheinlichkeit, krank zu werden oder ein Burnout zu entwickeln.

Die Fälle von Personen mit mentalen Gesundheitsproblemen nehmen seit Jahren zu. Warum beanspruchen immer mehr Menschen psychiatrische Behandlung?
Psychologische Hilfe ist heute akzeptierter als vor 30 Jahren. Die Sensibilität für das Thema ist grösser geworden, weshalb Menschen das Angebot auch stärker nutzen. Zudem leben wir heute in einer Welt mit sehr vielen Unsicherheiten, Vieles läuft nicht mehr in gewohnten Bahnen. Dies führt zu mehr existenziellen Problemen. Lange Zeit hatte die junge Generation das Gefühl, es würde ihnen später besser gehen als ihren Eltern. Das kippt. Die Befürchtung ist weit verbreitet, dass es für die kommenden Generationen schwieriger wird. Das schafft Sorgen und baut Druck auf.

Können Sie Unternehmen einen Ratschlag geben, wie sie die Herausforderungen beim Thema mentale Gesundheit meistern können?
Ein guter erster Schritt wären einfache Schlaf-Screenings. Den Schlaf zu thematisieren und ernst zu nehmen, ist ein zweiter Schritt: Wenn festgestellt wird, dass jemand Schlafprobleme hat, sollte dem nachgegangen und individuelle Lösungen ausgearbeitet werden. Individuellere Arbeitszeiten können für manche Leute schlafverbessernd sein. Die Bedeutung des Schlafs sollte im betrieblichen Umfeld anerkannt werden. Wenn eine Person schläfrig ist, sollte sie sich hinlegen dürfen. Es gibt bereits Unternehmen, gerade solche mit anspruchsvoller Schichtarbeit, die Schlafmanagement als Teil des Sicherheitsmanagements betrachten. Wenn Mitarbeitende weniger schläfrig sind, machen sie weniger Fehler. Zudem werden sie leistungsfähiger.

Guter Schlaf ist also im Firmeninteresse?
Unbedingt. Will ich produktive und leistungsfähige Mitarbeitende, die sich konzentrieren können und gesund bleiben, dann MUSS ich mich als Arbeitgeber mit dem Thema Schlaf beschäftigen. Eine Kaffeemaschine in den Pausenraum zu stellen, reicht definitiv nicht.

Sehen Sie bei den Versicherern Handlungsbedarf?
Es gibt eine erwiesene Korrelation zwischen Entscheidungsverhalten und Schlafqualität: Wer zu wenig oder schlecht schläft, trifft risikoreichere Entscheidungen. Damit steigt die Gefahr, zu hohe Risiken einzugehen. Vor diesem Hintergrund müssten Versicherer alles Interesse haben, dem Thema Schlaf mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Zur Person
Björn Rasch
Professor of Cognitive Biopsychology and Methods an der Universität Fribourg

Björn Rasch, geboren 1975 in Lüneburg, Deutschland, gehört zu den führenden Schlafforschern in der Schweiz. Seit 2013 ist er Professor of Cognitive Biopsychology and Methods an der Universität Fribourg. Davor lehrte Rasch an den Universitäten Basel und Zürich. Er hat mehrere wissenschaftliche Publikationen zum Thema Schlaf veröffentlicht und ist Präsident der Organisation Sleep Network Switzerland. Rasch ist verheiratet, Vater von zwei Töchtern und lebt in Pfäffikon ZH. Seine Freizeit verbringt er am liebsten mit seiner Familie, mit Musikmachen oder beim Sport.

echo-Interview mit Björn Rasch

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