Fachartikel von Bruno Catarino und Claude Schwarz, November 2022

Was kommt nach Covid? Die Perspektive des Lebensversicherers auf die Inflation

Anfang 2022 ging ein Aufatmen durch die Gesellschaft. Nach der dritten Impfwelle schien die Corona-Pandemie überwunden, die Todesfallrate von infizierten Personen ging ebenso zurück wie die Anzahl Ansteckungen. Doch die Entspannung war von kurzer Dauer, bereits erschienen neue Herausforderungen am Horizont. 

Ursachen der Inflation 2022
Als Reaktion auf die Finanzkrise von 2008 brachten die Zentralbanken über das letzte Jahrzehnt mit negativen Zinsen grosse Geldmengen in Umlauf. Eine Inflation wurde zwar allgemein erwartet, doch blieb diese vorerst aus. 

Als mit dem Abflachen der Covid-19-Pandemie die Konsumlust wieder zurückkehrte, waren Teile der Wirtschaft nicht darauf vorbereitet. Die Massnahmen gegen die Pandemie führten vielerorts zur Unterbrechung von Lieferketten und sorgten dafür, dass Materialien und Konsumgüter fehlten. Zudem kehrten zahlreiche Arbeitskräfte den von den Corona-Massnahmen besonders betroffenen Wirtschafssektoren den Rücken. Die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen konnte nicht gedeckt werden, erste Anzeichen einer anziehenden Inflation machten sich bemerkbar.

In zahlreichen Metropolen Chinas herrschen noch immer Lockdowns. Die chinesische Wirtschaft lahmt und viele Lieferketten bleiben weiterhin unterbrochen. Gleichzeitig führte der Krieg in der Ukraine zu Wirtschaftssanktionen gegen Russland und die wiederum zu steigenden Energie- und Nahrungsmittelpreisen. Die Einschränkung bzw. Stilllegung der Öl- und Gas-Lieferungen von Russland in die westliche Welt hatte einen massiven Preisschub bei den Energieträgern zur Folge und verursachte eine drohende Mangellage bei der Gas- und Stromversorgung. Der Ausschluss Russlands vom Handel mit dem Westen führte zu einer Einschränkung der Nahrungsmittel-Exporte durch Russland. Zudem wurde die ukrainische Schwarzmeerküste vermint, was zusätzlich den Export von Nahrungsmittel aus der Ukraine einschränkte. Die Inflation, die schon 2021 zu beobachten war, bekam nochmals einen kräftigen Schub. Als Reaktion darauf verabschiedeten sich die Zentralbanken von der Phase der Negativzinsen und beschlossen teils beträchtliche Zinserhöhungen. 

Worauf müssen sich Lebensversicherer und Pensionskassen vorbereiten?
Die Inflation ist eine Tatsache. Unabhängig davon, wie sich die Teuerung weiter entwickeln wird, müssen sich Lebensversicherer und Pensionskassen folgende Fragen stellen:

  • Wie ist die allgemeine Inflationsanfälligkeit des versicherten Bestandes?
  • Wie hoch ist die Risikobereitschaft?
  • Gibt es Grenzen dafür, wie viel Inflationsrisiko man zu akzeptieren bereit ist?
  • Wie wird sich die Inflation auf den Kapitalbedarf auswirken?
  • Sollte man Gegenmaßnahmen ergreifen, indem man den Verkauf einschränkt oder den Portfoliomix durch entsprechende Verkaufsanreize gezielt verändert?

Inflationsrisiken in Lebens- und Unfallversicherungsprodukten
Das Inflationsrisiko kann sich auf unterschiedliche Art und Weise bei Versicherungen bemerkbar machen. Durch die Überprüfung der eigenen Produktpalette verschaffen sich Versicherungsunternehmen einen Überblick über ihre Inflations-Exponierung. Bei Produkten, die aktiv verkauft werden, gibt es Steuerungsmöglichkeiten über Produktanpassungen oder das Underwriting.

Direkte Einwirkungen der Inflation auf versicherte Leistungen und Schäden
Die Teuerung hat über eine mögliche Lohninflation eine direkte Wirkung auf Versicherungsprodukte. Erhöhen sich die Löhne, so steigen auch die versicherten Leistungen, da diese direkt vom deklarierten Lohn abhängen. Gleichzeitig steigen die Prämien, da diese in der Kollektivlebensversicherung wie auch in der Krankentaggeld- und Unfallversicherung üblicherweise über einen vom Lohn abhängigen Prämiensatz festgelegt werden. Das Inflationsrisiko der höheren Leistungen wird damit durch eine höhere Prämie kompensiert.

Höhere Löhne können sich in der Unfallversicherung auch über höhere medizinische Kosten bemerkbar machen. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Löhne im Gesundheitssektor steigen.

Eine weitere direkte Wirkung der Inflation sind teuerungsbedinge Anpassungen der laufenden Renten in der Unfallversicherung oder der Pensionskassen.

Da die Prämien der Unfall- und Kollektivlebensversicherungsprodukte (Gruppenversicherung) üblicherweise als Prämiensatz an die Lohnsumme gekoppelt sind oder Leistungsversprechen entweder als absolute Beträge oder in wohldefinierter Abhängigkeit von Lohn bestimmt sind, lässt eine potenzielle Lohninflation kaum negative Auswirkungen auf die Pensionskassen oder die Lebensversicherungen erwarten. Dasselbe gilt, wenn der Prämiensatz eines Rückdeckungsvertrages an die Invalidenleistungen gekoppelt ist. Im Einzelleben-Geschäft sind die Leistungen unabhängig vom Lohn festgehalten und daher wird eine bevorstehende Inflation keinen direkten Einfluss auf die erwartete Schadenlast haben.

Besonders der Inflation ausgesetzt sind hingegen Schadenexzedenten-Rückversicherungsprodukte. Durch eine Lohninflation erhöht sich sowohl die erwartete Schadenfrequenz als auch die Schadenhöhe, falls der Selbstbehalt nicht an die Inflation gekoppelt ist.

Indirekte Einwirkung durch Zinserhöhungen

  • Üblicherweise reagieren die Zentralbanken mit höheren Zinsen auf die Inflation.
  • Alle Lebensversicherungsprodukte mit Sparteilen sowie Unfall- und Lebensversicherungsprodukte mit Rentenleistungen sind von den Zinsen abhängig. Insbesondere bei laufenden Renten gilt es, die Risiken der potenziellen Inflationsanpassung der Rentenleistungen zu überprüfen und die Finanzierung dafür sicherzustellen. 


Was lehrt uns die Vergangenheit?
Die Finanzkrise 2007 und 2008 sowie die wirtschaftliche Entwicklung in den darauffolgenden Jahren wirkte sich sehr unterschiedlich auf die ökonomische Situation in den einzelnen Länder aus. So waren Frankreich, Spanien, England und die USA von einer schweren Rezession betroffen, während Belgien, Holland, Neuseeland, Südafrika oder die Schweiz nur eine leichte Rezession verzeichneten. In Deutschland oder Australien kam es zu gar keiner Rezession.

Es lässt sich festhalten, dass keine allgemeingültigen Zusammenhänge zwischen der Schadenlast in der Invaliditätsversicherung und der ökonomischen Situation in einem Land zu beobachten waren. In einzelnen Ländern liess sich aber durchaus eine Korrelation der Schadenerfahrung des Invaliditätsgeschäfts mit der wirtschaftlichen Situation feststellen. So sind die Invalidisierungswahrscheinlichkeiten oder die Wahrscheinlichkeit einen Invaliditätsschaden zu beenden stark von der Leistungsdefinition oder dem Zusammenspiel mit der Sozialversicherung abhängig. Und diese waren je nach Land anders ausgestaltet.

Während die Schadeninzidenz in einigen Industriesegmenten und Märkten stark vom ökonomischen Umfeld und insbesondere der Arbeitslosigkeit abhängig war und daher nach der Finanzkrise anstieg (z.B. Frankreich, Holland, USA, Neuseeland), wurde in gewissen Märkten ein verzögertes Ansteigen der Schadeninzidenz als Folge des wirtschaftlichen Abschwungs registriert. In anderen Ländern war kein Zusammenhang zwischen dem ökonomischen Marktumfeld, insbesondere der Arbeitslosigkeit, und der Invaliditätsschäden zu beobachten.

Insgesamt fiel jedoch auf, dass im internationalen Kontext die «Claim Termination Rates» schneller auf die Finanzkrise reagierten als die Invalidisierungsraten. Dabei war generell zu beobachten, dass die Schadenfälle weniger schnell reaktiviert und somit die Leistungsdauer länger wurde, was die Schadenlast insgesamt vergrösserte. 

Weiter war zu beobachten, dass das Gruppengeschäft sensibler auf das ökonomische Umfeld reagierte als das Individualgeschäft. Möglicherweise war dies bei den untersuchten Beständen jedoch darauf zurückzuführen, dass im Gruppengeschäft ein überproportionales Exposure zur Finanzindustrie bestand. Da nur schwer voraussehbar ist, welche Industriesegmente bei einer nächsten Wirtschaftskrise stärker in Mitleidenschaft gezogen werden, kann es in der Gruppenversicherung aus einer Risikoperspektive vorteilhaft sein, einen Bestand möglichst ausgeglichen nach Industriesegmenten aufzuteilen. Versicherungsgesellschaften erreichen solche ausgeglichenen Bestandes-Verteilungen durch Anwenden entsprechender Underwritingrichtlinien und Preisdifferenzierungen.

Ausblick: Risiken und Chancen für Lebensversicherer
Inflation ist nicht nur ein schwer kalkulierbares Risiko, sie kann auch eine Chance sein, insbesondere wenn diese mit steigenden Zinsen verbunden ist. Der Aufbau von Neugeschäft mit den entsprechenden Reserven kann davon profitieren. 

Höhere Zinsen entlasten auch die Situation in der 2. Säule. Der von der Politik vorgegebene Umwandlungssatz im Obligatorium würde bei zukünftigen Verrentungen weniger oder gar keine technischen Verluste mehr verursachen, sollten die Zinsen, die sich mit Obligationsdarlehen erzielen lassen, höher sein als der vom Umwandlungssatz implizierte technische Zinssatz. Die Umverteilung der Anlageerträge von der aktiven Bevölkerung zu den Rentnern würde damit gemindert oder gar gestoppt. 

In einem Anlageportfolio kann die Inflation hingegen negative Spuren hinterlassen beispielsweise durch erhöhte Hypothekarzinsen. Können Hypothekarschuldner bei der Erneuerung der Hypotheken sich die neuen, höheren Hypothekarzinsen nicht mehr leisten, kann dies eine Immobilienkrise auslösen, die schliesslich zu einer Entwertung der Immobilien führt. Betroffen wären zuallererst Renditeobjekte, wie sie in den Bilanzen von Versicherungen und Pensionskassen zu finden sind. Eine Immobilienkrise kann weitere Sektoren destabilisieren (z.B. Banken, Baubranche) und die Wirtschaft in eine Rezession führen. Gefragt ist in diesem Zusammenhang ein gutes Asset-Liability-Management. 

Höhere Inflation wirkt sich unterschiedlich auf die verschiedenen Industriesegmenten aus. Nachdem ein gewisser Zusammenhang zwischen erhöhter Inflation, Arbeitslosigkeit und der Schadenlast in der Invaliditätsversicherung besteht, ist die Versicherungsbranche gut beraten, mit aktivem Underwriting ein nach Industriesegmenten ausgeglichenes Portfolio anzustreben. So lässt sich ein ökonomischer Abschwungs auf die Schadenerfahrung eines Bestandes an Invaliditätspolicen am effektivsten reduzieren. 

Inflation outlook (reference to Sigma March 2022)

 

Autoren:

  • Bruno Catarino, Aktuar SAV, CERA, MSc Math. ETH, Head Product & Pricing bei elipsLife Schweiz/Liechtenstein
  • Dr. Claude Schwarz, Aktuar SAV, Dipl. Phys. ETH, Director bei Swiss Re

 

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