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echo-Interview, Juni 2018

Garantierte Renten anzugreifen würde zu sozialem Unfrieden führen

ELIPSLIFE ECHO - EINE GESPRÄCHSSERIE MIT PERSÖNLICHKEITEN AUS DER WIRTSCHAFT

echo-Interview mit Ole Wiesinger

echo-Interview mit Ole Wiesinger, CEO der Hirslanden AG

elipsLife echo: Herr Wiesinger, die Kostenexplosion im Gesundheitswesen geht trotz gegenteiliger Beteuerungen weiter. Sind die Spitäler und somit auch Hirslanden kostentreibende Faktoren?
Ole Wiesinger: Vergleicht man das Wachstum des Bruttosozialprodukts mit jenem der Gesundheitskosten, ist die Entwicklung im Gesundheitswesen noch überschaubar. Aber Gesundheit wird in der Tat immer teurer. Die Gründe dafür sind in erster Linie die alternde Gesellschaft und der technische Fortschritt. Die Kostensteigerung wird die nächsten Jahre, ja Jahrzehnte weitergehen. Trotzdem muss man versuchen, das Kostenwachstum einzudämmen. Weil es mit Krankenversicherungen, Kantonen, Ärzten und Spitälern aber viele Player mit unterschiedlichen Interessen gibt, wird das schwierig.

Was macht Hirslanden, um die Kosten zu senken?
Kosten senken heisst, so effizient wie möglich zu arbeiten. Unser oberstes Ziel ist es, Patientennutzen zu generieren. Die Gleichung „Patientennutzen =„klinische Behandlungs-qualität plus Patientenzufriedenheit geteilt durch die Kosten“ bringt das gut zum Ausdruck. Die Hirslanden-Gruppe ist effizient, schlank und unternehmerisch aufgestellt. Wir bauen das Unternehmen konsequent zu einem Konzern um und wollen unsere Administration so „lean“, standardisiert und zentralisiert wie möglich betreiben. Dadurch leisten wir einen Beitrag zur Kostensenkung UND zum Patientennutzen.

Wie viele Kliniken und Praxiszentren betreibt die Hirslanden AG in wie vielen Kantonen?
Wir betreiben aktuell 17 Spitäler, 16 Radiologieinstitute, vier Praxiszentren an den Bahnhöfen von Schaffhausen, Luzern, Bern und Düdingen sowie vier Radiotherapieinstitute. Mit Ausnahme des Tessins und der Stadt Basel sind wir in allen Ballungsgebieten vertreten. Heute stehen 16 unserer 17 Spitäler auf der Spitalliste von 11 Standortkantonen.

Betrachten die Kantone Hirslanden als Partner oder als Konkurrent ihrer kantonalen Spitäler?
Leider nicht als Partner! Vielmehr besteht ein klares Konkurrenzverhältnis. Dabei spielen wir in einem Fussballspiel, in dem der Schiedsrichter für die Gegenseite spielt. Die Vielfachrolle der Kantone im Gesundheitswesen ist eine grosse Herausforderung für uns, weil überall in der Schweiz die Kantone die grössten Spitalbetreiber sind. Oft ist zu hören, dass die Spitäler eigenständige Aktiengesellschaften seien und die Kantone keinen Einfluss mehr hätten. Dem ist nicht so. Der Kanton ist Spitalbetreiber und gleichzeitig die Instanz, die die Spielregeln aufstellt. Somit laufen beim Kanton zu viele Rollen zusammen, die sich beissen. Lösungen gibt es nur zwei: Entweder zieht sich der Kanton aus seiner politischen Verantwortung zurück. Das ist aber nicht sinnvoll, weil es eine Autorität zur Überwachung der Gesundheitsversorgung in der Region braucht. Oder der Kanton zieht sich als Betreiber von Spitälern zurück. Das wäre konsequent.


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Viele öffentliche Spitäler kämpfen heute mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die Hirslanden Gruppe aber nicht. Warum ist das so?
Es gibt zwei Hauptgründe für die gute Performance der Hirslanden-Gruppe: Wir sind als grosses Unternehmen mit fast 1,8 Mrd. CHF Umsatz effizienter als Standalone-Einheiten, weil wir dank der Konzernstruktur günstiger, schneller und in der Regel agiler sind. Zweitens haben wir in unserem Kollektiv immer noch einen grösseren Anteil an zusatzversicherten Patienten, die wirtschaftlich ertragsstärker sind.

Hirslanden arbeitet mit dem Belegarzt-System. Wie schaffen Sie es, die Top-Cracks unter den Ärzten in Ihre Operationssäle zu holen?
Unser Ziel ist es, mit dem Belegarztsystem einen Top-Provider im Gesundheitswesen zu formen. Dies gelingt uns immer besser und deshalb werden wir für Ärzte auch immer attraktiver. Hirslanden will sich auf Augenhöhe mit den grossen kantonalen Spitälern und Universitätskliniken bewegen, weshalb höchste medizinische Qualität für uns unabdingbar ist. Unser Belegarztsystem bietet hochqualifizierten, spezialisierten Ärzten mit eigener Praxis die Möglichkeit, anspruchsvollste Medizin auszuüben – ohne störende Hierarchien.

Hirslanden beschäftigt fast 10‘000 Mitarbeitende. Ist Vorsorge bei Neuanstellungen ein Thema?
Ja und nein. Je jünger der Kandidat, desto weniger interessiert das Thema. Eine 20-jährige Krankenschwester macht sich keine Gedanken über die Rentenversicherung. Der Spitalmarkt ist kompetitiv und bezüglich Lohnstruktur und weiterer Benefits relativ transparent. Medizinfachpersonen vergleichen die Angebote der Privatwirtschaft und der öffentlichen Spitäler. Weil Hirslanden effizient sein will, können wir keine Löhne zahlen, die deutlich über dem Benchmark liegen. Deshalb spielen zusätzliche Anreize eine wichtige Rolle. Dazu gehört auch unsere Pensionskasse, die sehr gesund und zeitgemäss aufgestellt ist. Die Hirslanden PK ist ein Mehrwert, der Vertrauen schafft.

Die Altersvorsorge ist zuoberst auf dem Sorgenbarometer, doch seit 20 Jahren kommt keine Reform mehr zu Stande. Nun will der Bundesrat die Sanierung der 1. Säule vorziehen und bei der Finanzierung vor allem auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer setzen. Eine gute Idee?
Eine „Gegenidee“: Wenn man den Überschuss der Eidgenossenschaft im vergangenen Jahr betrachtet, könnte man sich ja auch fragen, warum nicht eine gute Portion dieses Überschusses in die AHV gesteckt wird. Die Einzahlung in den AHV-Fonds löste zwar keine strukturellen Probleme, sie käme aber zumindest einer Teilsanierung gleich. Die Sanierung über eine Mehrwertsteuererhöhung auf die Konsumenten zu überwälzen, ist sicher möglich. In der aktuellen Situation würde ich aber eine Zahlung aus dem Gewinn, den die Eidgenossenschaft erwirtschaftet hat, vorziehen.

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Wie stehen Sie zum Rentenalter 65 für Frauen?
Die Generation nach uns wird vermutlich bis 75 arbeiten müssen, insofern dürfte sich das Rentenalter 65 für Frauen erübrigen.

Besteht nicht die Gefahr, dass Zinsumfeld und demografische Entwicklung die 2. Säule aus den Angeln heben und wir Opfer von nicht finanzierbaren Leistungsversprechen werden?
Die Gefahr besteht, aber ich nehme unsere PK als Beispiel: Wir haben die technischen Faktoren den Entwicklungen laufend angepasst, um unser System nachhaltig zu gestalten. Die Formulierung, wonach wir alle Opfer von Entwicklungen werden, klingt für mich zu polemisch. Ein Grossteil der Leistungsversprechen werden die Pensionskassen erbringen können, wenn sie die relevanten Entscheidungen rechtzeitig treffen und bereit sind, den Mitarbeitenden transparent zu erklären, aus welchen Gründen etwas eingeleitet wird.

Sollen Rentenbezüger an der Sanierung der 2. Säule beteiligt werden oder sind erworbene Rentenansprüche tabu?
Aus meiner persönlichen Sicht sind sie tabu. Garantierte Renten anzugreifen würde zu grossem sozialen Unfrieden führen. Auch wenn es nachvollziehbare Argumente gibt, alle an einer Sanierung zu beteiligen, ein solcher Schritt würde das Grundvertrauen in die Rentenversicherung total erschüttern.

Ist die 3. Säule vom Staat mehr zu fördern, um die 1. und 2. Säule zu entlasten?
Unbedingt! Das hat mit Eigenvorsorge zu tun. Alle Sozialversicherungssysteme werden aufgrund der demografischen Herausforderungen ans Limit kommen. Lösen lässt sich dieses Problem nur mit einer Zunahme der persönlichen Vorsorge. Darum ist die 3. Säule so wichtig. Den Leuten muss aufgezeigt werden, dass sie frühzeitig damit anfangen müssen, für ihre Zukunft zu sorgen.

Wenn Sie heute den Pensionskassen in der Schweiz einen Rat geben könnten: Wie würde dieser lauten?
Zunächst sollten sie von den wieder interessanten Anlagemärkten profitieren und mit einer pfiffigen Anlagestrategie aus dem anvertrauen Vermögen das Beste machen. Der zweite Punkt wäre auf der technischen Seite dafür zu sorgen, dass die Entwicklungen nicht verschlafen werden und die Themen wegen der schwierigen Kommunikation mit der Belegschaft nicht auf die lange Bank geschoben werden. Faktoren wie Umwandlungssatz oder technischer Zinssatz müssen mit wachem Auge verfolgt und wenn nötig angepasst werden. Dann kommt das gut!

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Zur Person
Ole Wiesinger
CEO der Hirslanden AG

Dr. Ole Wiesinger, 1962, ist seit 2008 CEO der Privatklinikgruppe Hirslanden. Zuvor war er während vier Jahren Direktor der Klinik Hirslanden in Zürich. Wiesinger ist Mitglied der Geschäftsleitung der Mediclinic International plc, der Muttergesellschaft der Privatklinikgruppe Hirslanden. Nach dem Studium der Biologie und Humanmedizin absolvierte er ein Nachdiplomstudium in Gesundheitsökonomie. Wiesinger ist in Hamburg geboren, verheiratet und Vater von vier Kindern. Seine persönlichen Interessen sind Literatur und Musik.

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