Echo Interview mit Nadja Schildknecht
echo-interview, September 2015

Die Grenzen des Machbaren immer wieder ausloten

ELIPSLIFE ECHO - EINE GESPRÄCHSSERIE MIT PERSÖNLICHKEITEN AUS DER WIRTSCHAFT

Die Grenzen des Machbaren immer wieder ausloten

Nadja Schildknecht, Managing Director und Co-Founder Zurich Film Festival (ZFF)

elipsLife echo: Frau Schildknecht, was ist Ihr Geheimrezept, um internationale Filmstars wie Diane Keaton oder Sean Penn nach Zürich zu holen?

Nadja Schildknecht: Unsere Gäste sollen in Zürich die Gelegenheit erhalten, Leute zu treffen, um ihr Beziehungsnetz zu pflegen. Wir tun alles, damit sie mit einem Lächeln abreisen. Selbstverständlich muss ihnen die Reise nach Zürich auch geschäftlich etwas bringen. Produzenten, Regisseure und Schauspieler kommen hierher, um ihre Filme dem Publikum vorzustellen. Entsprechend sind sie auch daran interessiert, dass viel über ihre Filme geschrieben wird. Da Medien aus der ganzen Welt anwesend sind, weiss die Branche das Zurich Film Festival mittlerweile zu schätzen.

Das Zurich Film Festival geht 2015 bereits in die elfte Runde. Worin liegt der Grund für den Erfolg?

Ich glaube, sich Nicht-Sonnen im Erfolg ist vielleicht der beste Weg, erfolgreich zu bleiben. Wir geben stets unser Bestes, analysieren Erreichtes und verfolgen immer das Ziel, uns stetig zu verbessern. Die Aussage, das Zurich Film Festival sei ein Erfolg, bereitet mir sogar manchmal Mühe, auch wenn es natürlich schön ist, dass man uns so positioniert. Aber es erhöht auch den Druck auf uns. Man erwartet jedes Jahr mehr, was eigentlich gegen aussen sichtbar fast nicht mehr möglich ist. Die letzten Wochen vor dem Anlass, wenn das Programm finalisiert wird und alle Puzzleteile, für die man ein Jahr lang gearbeitet hat, zu einem Gesamtprogramm zusammenkommen, sind nervenaufreibend. Ich kann Ihnen versichern, während dieser hektischen Phase kommt kein Erfolgsgefühl auf.

Bringt das schnelle Wachstum das ZFF an seine Grenzen? Oder anders gefragt: Wo sind die Grenzen eines ZFF?

Unser Ziel ist es nicht, immer mehr Filme und immer mehr Gäste nach Zürich zu holen, sondern vor allem, die Qualität zu bewahren. Wir zeigen bereits 140 Filme und fliegen über 500 Gäste aus dem Ausland ein, die alle über mehrere Tage von uns betreut werden. Ich muss mir immer wieder die Frage stellen: Ist das, was wir uns vorgenommen haben, finanziell überhaupt machbar? Jedes Jahr muss das Budget der Wirtschaftssituation angepasst werden. Zudem haben wir darauf zu achten, mit Ideen oder neuen Zielen das Team, obwohl alle ambitioniert sind, nicht zu stark zu überfordern. Uns liegt viel daran, organisch zu wachsen. Deshalb kann ich nicht sagen, wo exakt die Grenze liegt. Vielmehr muss ich mit meinem Geschäftspartner diese für jedes Festival, Jahr für Jahr, neu festlegen.

Nadja Schildknecht - Zürich Film Festival

Wie positioniert sich das ZFF im Vergleich zum Festival in Locarno?

Wir haben den Fokus im Wettbewerb von Anfang an auf junge Talente gelegt, das heisst auf Erstlingswerke bis zum dritten Werk von jungen Regisseuren und Regisseurinnen. In der Zwischenzeit schenkt allerdings auch das Filmfestival Locarno diesem Bereich grosse Aufmerksamkeit. Bezüglich Filmen stehen wir meistens nicht in der Konkurrenz, weil sich Locarno auf Filme konzentriert, die im Sommer ins Kino kommen, während wir die Herbsttitel zeigen können. In Konkurrenz stehen wir jedoch in Fragen der Finanzierung. Der Bund leistet bekanntlich sehr unterschiedliche Beiträge – ein heikles Thema, welches sehr stark politisch geprägt ist.

… und im internationalen Vergleich?

International ist das London Filmfestival unser grosser Konkurrent. Dieses Festival findet unmittelbar nach Zürich statt und buhlt um die gleichen Europa-Premieren wie wir. Für uns ist dies eine schwierige Situation, weil London ein ganz wichtiger Markt ist für die Filmemacher und sie deshalb London natürlich nicht verlieren möchten. Entsprechend brauchen wir gute Argumente, um Produzenten zu überzeugen, trotzdem zuerst nach Zürich zu kommen. Mal gewinnt Zürich, mal London.

Wird das ZFF trotz des Erfolges von der Konkurrenz nach wie vor als Newcomer wahrgenommen?

Aus internationaler Sicht sind wir natürlich noch immer ein junges Festival, viele Filmfestivals existieren bereits über mehrere Generationen hinweg. Die Entwicklung des Zurich Film Festival ist aber rasant, so haben wir schon nach wenigen Jahren bereits einen guten Ruf und man kennt das Festival in der internationalen Branche.

Das Festival in Locarno erhält CHF 1,5 Millionen Steuergelder, das ZFF lediglich CHF 150‘000. Wie schaffen Sie es trotz der geringen staatlichen Unterstützung, das 7-Mio.-Budget für Ihr Festival aufzutreiben?

Wir haben Sponsoren, Stiftungen, Gönnervereine, Ticketeinnahmen und ein wenig die öffentliche Hand, die zusammen die Gesamtfinanzierung sichern. Die Sponsoren sind vom Festival begeistert, weil sie Kultur unterstützen, gleichzeitig Marketingaktivitäten umsetzen können und unsere Hospitality Events bei ihren Kunden sehr gut ankommen. Trotzdem stossen wir nun an unsere Grenzen, da wir natürlich marktüblich viele Exklusivklauseln in den Verträgen haben. Dies macht es für uns schwierig, die Budgets zu erreichen, die anderen grösseren Filmfestivals zur Verfügung stehen. Die Berlinale verfügt über fast CHF 17 Millionen, Locarno weist ein 13-Mio.-Budget auf, wovon viele Millionen vom Bund und Kanton sind. Dies zeigt, wie schwierig es ist, mit einem 7-Mio.-Budget ein wichtiges internationales Filmfestival zu veranstalten. Wir drehen jeden Franken zweimal um, verhandeln, was möglich ist, und arbeiten dank guten Strukturen mit einer schlanken Organisation.

Nadja Schildknecht ZFF im Vergleich zum Festival in Locarno

Sie sind erfolgreiche Unternehmerin. Was sind aus Ihrer Sicht die Ingredienzen unternehmerischen Erfolgs?

Wichtig ist, dass man nie aufgibt, bei einem Misserfolg wieder aufsteht und aus Fehlern lernt. Dazu braucht es Ausdauer und viel Energie. Entscheidend ist zudem die Fähigkeit, überzeugen und motivieren zu können. Ich bin auf Goodwill von ganz vielen Seiten angewiesen, von Sponsoren, Gönnern, Mitarbeitenden, Freiwilligen, Besuchern oder Stiftungen. Wenn man nicht begeistern kann, verliert das Unternehmen an Stärke. Zudem ist es wichtig, die Finanzen genau unter Kontrolle zu halten, ein Bereich, welcher am Anfang eines Start-ups oft vergessen wird.

Versicherung spielt sicher auch bei einem Filmfestival eine grosse Rolle. Wie ist der Anlass selbst, wie sind die anreisenden Filmstars versichert?

Jeder Gast hat eigene Versicherungen, dies wird mit dem Management oder gleich mit dem Gast selbst abgeklärt. Wir haben aber selbstverständlich eine Event-Versicherung, dies ist zwingend notwendig.

Bei Grossverdienern wie Johnny Depp oder Richard Gere dürfte die Altersvorsorge kein Problem sein. Welche Bedeutung hat aber die Vorsorge bei der Grosszahl von Schauspielern, die den ganz grossen Durchbruch nicht schaffen?

Man arbeitet, verdient Geld und gibt einen Teil davon ab, um im Alter etwas zu haben, einen kleinen Grundstock als Sicherheit. In diesem Bereich geht es, ob Schauspieler oder Nicht-Schauspieler, allen gleich. Wir wissen nicht, was uns die Zukunft bringt. Da spielt die Eigenverantwortung eine grosse Rolle. Ich kenne Leute, die ihre Altersvorsorge aufgelöst haben, um ein Eigenheim zu kaufen. Ich habe schon immer mit Geld umgehen können und habe auch immer gerne etwas zur Sicherheit auf der Seite.

Für das ZFF arbeiten inzwischen rund 20 Vollzeitangestellte, 40 Teilzeitangestellte und während des Anlasses selbst Hunderte von Freiwilligen. Spielt bei der Anstellung von Leuten das Vorsorgethema, zum Beispiel eine attraktive Pensionskasse, eine Rolle?

Um ehrlich zu sein, nein. Dies hängt primär damit zusammen, dass wir viele junge Leute einstellen, die bei uns den Einstieg ins Berufsleben suchen. Für Leute in diesem Alter spielt die Vorsorge noch keine grosse Rolle. Selbstverständlich stehen wir als Arbeitgeber in der Pflicht, das Thema bei der Einstellung zu besprechen. Aber ich habe noch nie erlebt, dass die Vorsorgeleistungen ein Kriterium waren, ob jemand bei uns eine Stelle angetreten hat oder nicht.

Nadja Schildknecht - erfolgreiche Unternehmerin

Wie beurteilen Sie persönlich das Niveau der beruflichen Vorsorge in der Schweiz?

Ich finde das 3-Säulen-System der Schweiz sehr gut. Diese Lösung sorgt dafür, dass im Vergleich zu anderen Ländern klar weniger Menschen durch das soziale Netz fallen. In der Schweiz wird sowohl der Gesundheits- wie auch der Altersvorsorge auf hohem Niveau Rechnung getragen. Dieses System ist stark verankert und nimmt den einzelnen Bürger in die Verantwortung, gibt ihm gleichzeitig aber eine grosse Eigenverantwortung. Offensichtlich mit Erfolg, denn es ist gelungen, das Thema Vorsorge zu einer Selbstverständlichkeit werden zu lassen.

Welches sind aus Ihrer Sicht die brennenden Fragen im Bereich der beruflichen Vorsorge?

Kriegen wir das, was wir jetzt einzahlen, auch wieder zurück? Sind meine ganzen Einzahlungen zum Zeitpunkt meiner Pensionierung noch etwas wert? Ausserdem wundert mich in der heutigen wirtschaftlichen Situation, wie Pensionskassen überhaupt noch Erträge auf ihren Anlagen erzielen können.

Sie haben es angetönt: Die PKs stecken in stürmischen Zeiten, vor allem wegen der Überalterung und den tiefen Zinsen. Werden sie – und damit wir alle – Opfer von nicht finanzierbaren Leistungsversprechen?

Aus meiner Sicht besteht diese Gefahr tatsächlich. Allerdings ist das Thema nicht neu. Ich kann mich gut daran erinnern, dass wir bereits in der Schule die demografische Entwicklung diskutierten. Was haben wir zu erwarten, wenn immer mehr ältere Menschen Rente beziehen, gleichzeitig aber immer weniger junge Leute in die Kassen einzahlen? Diese Rechnung geht irgendwann nicht mehr auf. Das liegt auf der Hand. Wann dieser Zeitpunkt eintreten wird, hängt von vielen Faktoren ab – demografischen, wirtschaftlichen, finanziellen und politischen. Es ist ein schwieriges Thema, für welches ja auch die Experten noch Lösungen suchen. Die Gefahr weiterer Anpassungen der Leistungen, sprich Kürzungen, sehe ich jedenfalls als gegeben.

Ein Leistungsabbau scheint unausweichlich, die anstehende BVG-Revision zielt auch in diese Richtung. Wie stehen Sie zur geplanten Erhöhung des Rentenalters für Frauen auf 65?

Wenn Frauen konsequent gleich behandelt werden wie Männer, sollen sie auch in der Frage des Rentenalters gleichgestellt werden wie Männer. Ich befürworte eine entsprechende Anpassung indessen nur, wenn die Gleichbehandlung auch für alle anderen Lebensbereiche wie Lohn, hierarchische Positionen oder Berufschancen gilt.

Zur Person
Nadja Schildknecht
Managing Director und Co-Founder Zurich Film Festival (ZFF)

Nadja Schildknecht, 1973, war nach einer kaufmännischen Lehre als international tätiges Model erfolgreich. 2005 gründete sie gemeinsam mit Karl Spoerri und Antoine Monot Jr. das Zurich Film Festival, das sich in kurzer Zeit zum internationalen Filmfestival entwickelte. Heute trägt die Unternehmerin als Geschäftsführerin und Co-Festivalleiterin, verantwortlich für das Finanzwesen, Marketing, Sponsoring, PR und die Event-Organisation, massgeblich zum wachsenden Erfolg des Festivals bei. Schildknecht ist Vorstandsmitglied beim ZFF Donor Verein, Präsidentin im ZFF Supporter Verein und Beirat bei Generation CEO. Daneben ist sie regelmässig Referentin an höheren Wirtschaftsschulen zu Themen wie Aufbau und Führung von Unternehmen, Marketingstrategie, Brand-Development und Sponsoring.

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