echo-Interview, April 2024

Die Zukunft der Versicherung ist hybrid

ELIPSLIFE ECHO – EINE GESPRÄCHSSERIE MIT GESELLSCHAFTSVERTRETERN ZU KERNTHEMEN AUS DEM KTG- UND DEM UVG-ÖKOSYSTEM

echo-Interview mit Silvan Stüssi

echo-Interview mit Silvan Stüssi, Managing Partner & Head Global Insurance Practice, Synpulse Schweiz AG

elipsLife echo: Herr Stüssi, können Sie uns kurz erklären, welchen Geschäftszweck die Synpulse AG verfolgt und welche Funktion Sie wahrnehmen?
Silvan Stüssi:
Synpulse ist ein globaler Beratungspartner für Unternehmen in der Finanzbranche, wobei wir uns auf Banken und Versicherungen fokussieren. Wir unterstützen unsere Kunden bei allen Arten von strategischen Transformationen, von der Entwicklung bis zur Umsetzung. Ich bin bei Synpulse für das Versicherungsgeschäft global zuständig. Dabei spielt natürlich der Markt Schweiz, unser Heimmarkt, eine wichtige Rolle.

Wie viele Mitarbeitende beschäftigt Synpulse und wo ist das Unternehmen tätig?
Die Synpulse AG wurde 1996 in der Schweiz gegründet, wo wir noch immer unseren Hauptsitz haben. Das Unternehmen ist heute in Europa, in den USA und in Asien tätig und beschäftigt rund 1'200 Mitarbeitende, 160 davon in der Schweiz.

Stichwort Schweiz: Was prägt aktuell die Entwicklung des hiesigen Versicherungsmarktes?
Wir beobachten einige Entwicklungen, die für den Versicherungsmarkt Schweiz relativ neu sind. Da ist zunächst das Zinsumfeld, das sich nach vielen Jahren mit tiefen Zinsen verändert hat und sich vermutlich weiter verändern wird. Zweitens tauchen neue Risiken auf. Beispiele sind Cyber-Risiken oder das Thema «generative Artificial Intelligence (AI)», eine Form künstlicher Intelligenz, die auf Basis von Vorgaben und vorhandenen Informationen neue Inhalte generiert. Da ergeben sich gesellschaftlich wie wirtschaftlich zwar zahlreiche Opportunitäten, gleichzeitig stellen sich aber viele Fragen bezüglich Versicherbarkeit. Und schliesslich beschäftigt uns nach wie vor die Digitalisierung, wo der Markt den Weg sucht, mit den Möglichkeiten umzugehen.

Welche Aspekte stehen in Sachen Digitalisierung im Vordergrund?
Im Versicherungsbereich besteht einerseits der Druck zu Automatisierung und Digitalisierung. Gleichzeitig äussern viele Kunden Bedarf an persönlicher Beratung – trotz oder gerade wegen der zunehmend digitalisierten Prozesse. Dieses Spannungsfeld ist sehr interessant und wirft die Frage auf, welche Rolle die Digitalisierung im Versicherungsbereich in Zukunft spielen wird.

Eine auch von Synpulse erarbeitete Versicherungsstudie* hält fest, dass KMUs in der Schweiz mit Versicherungslösungen gut bedient seien, dennoch bestünden klare Defizite. Welche?
Unsere Studie zeigt ein strukturelles Dilemma des Marktes der Versicherungen von Klein- und Mikrounternehmen. Etwas zugespitzt gesagt: Die Kunden möchten individuelle Angebote und persönliche Beratung, wollen oder können dafür aber nicht bezahlen. Die Versicherer möchten Kundennähe, wollen oder können sich aber die Kosten der dafür notwendigen Individualisierung des Angebots nicht leisten. Die klassische Antwort auf ein solches «Mass Customization»-Phänomen ist eine intelligente Automatisierung in der Herstellung, basierend auf einem Baukastensystem in der Produktgestaltung. Bei der Digitalisierung der Kundenschnittstelle kommt erschwerend hinzu, dass sich die Begeisterung für solche Lösungen bei den meisten Kunden im Rahmen hält.

Sie haben erwähnt, dass Digitalisierung eine wichtige Rolle für die Versicherungswirtschaft spielt. Wie reif sind die oft gepriesenen, innovativen, digitalen Versicherungslösungen wirklich?
Es sind grosse Unterschiede feststellbar, und oft ist es interessant, hinter die digitalen Kulissen zu schauen. Bisher lag der Fokus eher auf dem Neugeschäft, das Potenzial anderer Prozesse und Servicemöglichkeiten wurde nicht ausgeschöpft. Versicherer konzentrieren sich bei digitalen Lösungen oft auf einzelne Kernprozesse (Produkt, Vertrieb, Underwriting usw.). Die grundlegende, ganzheitliche Transformation entlang der gesamten Wertschöpfungskette blieb bisher weitgehend aus. Versicherer, welche digitale Versicherungslösungen neu denken wollen, tun aber genau dies und können dann das gesamte Nutzenpotenzial heben, wenn alle Kernprozesse integriert digital transformiert werden. Daneben gibt es viele vertrauensbasierte Aspekte, bei denen die Kunden mit einem Menschen sprechen wollen. Deshalb sind wir überzeugt, dass bei der Beratung und Betreuung hybride Lösungen in den kommenden Jahren zentral sein werden.

Hybride Lösungen statt volle Digitalisierung?
Ja, absolut. Digitale Beratungs- und Betreuungs-Lösungen, bei denen die Technologie nicht Selbstzweck ist, sondern Kundenberaterinnen und -berater direkt in ihrer Arbeit unterstützen, gehört die Zukunft. Die rein digitalen Lösungen in der Kundeninteraktion machen nur einen niedrigen Prozentsatz aus. Die Investitionen im Bereich Digitalisierung der Kundeninteraktion zielen heute in die Richtung, Beraterinnen und Berater zu unterstützen. Investitionen in die Automatisierung und die Prozesseffizienz werden kundenseitig weniger wahrgenommen, auch wenn diese wegen des Kostendrucks zentral bleiben.

Können Sie uns ein konkretes Beispiel für eine erfolgreiche, technologische Innovation im Versicherungsmarkt nennen?
Es gibt einige spannende Entwicklungen und erfolgreiche Beispiele am Markt. Bei der hybriden Beratung setzt beispielsweise Swiss Life erfolgreich auf durchgängig digital gestützte Beratung und Betreuung. So unterstützt moderne Technologie Beraterinnen und Berater bei der Kundeninteraktion und stärkt die physischen Vertriebskanäle.

Schauen wir uns die Leistungsversprechen vieler Anbieter an, sollen Versicherungslösungen personalisiert, schnell und digital sein. Aus Sicht der KMUs: Was hat Priorität?
In unserer Studie konnten wir feststellen, dass die Passgenauigkeit der Versicherungsdeckungen und die Qualität der Beratung die höchste Priorität haben. Der Preis folgt erst an dritter Stelle. Mit anderen Worten: KMU schauen zwar auf den Preis, wollen aber in erster Linie gut gegen die wichtigsten Risiken abgedeckt sein.

Broker sind für KMU bei Versicherungsfragen unerlässlich. Was braucht es, damit Broker eine professionelle und umfassende Beratung für KMUs sicherstellen können?
Broker nehmen für viele KMUs eine zentrale Rolle ein, wenn es darum geht die Vielzahl an Versicherungsprodukten zu verstehen und die richtige Lösung zu finden. Gleichzeitig ist der Brokermarkt zunehmendem Druck aus mehreren Richtungen ausgesetzt. Die Anforderungen an Kosteneffizienz und Regulatorik steigen und zwingen Broker, Skaleneffekte abzuschöpfen und die Effizienz zu steigern. Broker erwarten seitens der Versicherer eine verstärkte technische Unterstützung zur Effizienzsteigerung und zur weiteren Professionalisierung der Beratung.

Gemäss Ihrer Studie verstreuen 80% der Unternehmen ihre Policen über mehrere Versicherer, was nicht von Partnerschaft zeuge. Welche besonderen Herausforderungen müssen Versicherer meistern, um bei den KMU nachhaltig erfolgreich zu sein?
Die KMU verteilen oftmals bewusst ihre Policen über mehrere Versicherer, da sie sich davon Gegengeschäfte erhoffen. Beim Abschluss sind, wie erwähnt, vor allem die Versicherungsdeckungen und die Beratungsqualität ausschlaggebend. Handkehrum initiiert der Preis oftmals einen Wechsel. Dies gilt insbesondere für UVG und KTG.

Wenn Sie Versicherungen einen Rat geben könnten: Worauf sollen sie in den nächsten Jahren den Fokus legen?
Auf Technologie und Digitalisierung, aber immer verknüpft mit einem Kundenwert. Technologie darf nicht um der Technologie willen gefördert werden, sondern um den Kunden einen echten Mehrwert zu bieten. Ein weiterer Fokus ist das Thema Daten und Artificial Intelligence (AI). Versicherungen müssen in Richtung datengetriebene Organisation gehen. Schliesslich gilt es, sich auf neue Vertriebskanäle vorzubereiten. Der Trend zu «Embedded Insurance» wird auch für das KMU-Geschäft relevant. Die Versicherung wird dabei nahtlos in andere Produkte oder Dienstleistungen als inhärente Komponente eingebettet, was Zeit und Kosten spart, aber auch personalisierte Versicherungslösungen ermöglicht. Erste Beispiele im KMU-Segment sind in den USA zu sehen, wo betriebliche Unfallversicherungen in die Lohnabrechnungslösungen eingebettet werden.

*«Versicherung von Klein- und Mikrounternehmen: Ein unterversorgter Markt». Herausgegeben 2023 von Synpulse Schweiz AG, Zühlke Engineering AG und ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Zur Person
Silvan Stüssi
Silvan Stüssi, Managing Partner & Head Global Insurance Practice, Synpulse Schweiz AG

Silvan Stüssi, 1979, trat 2005 bei Synpulse als Consultant ein und leitet seit 2022 als Managing Partner die Global Insurance Practice. Er berät und begleitet Versicherungsunternehmen bei strategischen Transformationsprogrammen zu Themen wie Target Operating Model, digitalen Fähigkeiten und Operational Excellence. Während des Studiums an der Universität St. Gallen (lic. oec. HSG) sammelte er im Jahr 2000 in einem Praktikum bei Swiss Re erste Erfahrungen im Versicherungsgeschäft und arbeitete von 2003 bis 2005 in Teilzeit bei Scor im Underwriting. 2017/18 war er zudem als Chief Technology Officer a.i. bei iptiQ Life & Health tätig. Er ist verheiratet, wohnt in Seuzach ZH und ist Vater zweier Buben.

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