Fachartikel im Personalmagazin bAVspezial - Ausgabe 3/18

Der vergessene Bedarf

Fachkräftemangel und Krankheitsfehlzeiten belasten die Betriebe. Doch auch die Arbeitnehmer stehen unter Druck. Clevere Benefits können doppelt Abhilfe schaffen.

Deutschland geht es so gut wie schon lange nicht mehr. Es herrscht Vollbeschäftigung und die Wirtschaft wächst stetig. Und doch schlagen viele Unternehmen Alarm, denn es herrscht Personalmangel. Dieser bringt Druck und eine Häufung krankheitsbedingten Fehlzeiten mit sich. Arbeitgeber suchen händeringend nach Wegen, die sie im Kampf um Talente attraktiver positionieren und so den Fachkräftemangel lindern. Neue Ansätze bei den Mitarbeiter Benefits können hier Verbesserung bringen. Care Management und Absicherung gegen Berufsunfähigkeit sind hier die Zauberworte. Es geht um die Antwort auf einen vergessenen Bedarf.

Wir werden älter
Demografen haben den Fachkräftemangel erwartet: Auch wenn die Geburtenrate zuletzt wieder leicht angestiegen ist, kommen in Deutschland heute weniger Kinder zur Welt als früher – bei steigender Lebenserwartung. Dadurch erhöht sich das Durchschnittsalter der Bevölkerung. Die Generation mit der derzeit höchsten Population, die sogenannten Babyboomer, ist aktuell noch im Arbeitsprozess integriert und macht den größten Beschäftigtenanteil aus. Gleichzeitig hat man bereits vor einigen Jahren begonnen, die Älteren langsam aus dem Job „auszusteuern“, um den Jüngeren Platz zu machen. Die Neuen müssen sich aber erst bewähren, und nicht immer funktioniert die Übergabe von den „Erfahrenen“ zu den „Neueinsteigern“ reibungslos. Der demografische Wandel erhöht den Druck auf beide Altersgruppen. Verstärkt wird der Effekt durch die Digitalisierung.

Digital kann nerven
Aktuellen Studien zufolge fühlen sich nämlich immer mehr Beschäftigte durch die Digitalisierung erhöhtem Stress ausgesetzt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat daher auf Basis der Repräsentativumfrage zum DGB-Index „Gute Arbeit 2016“ untersuchen lassen, in welchem Ausmaß Digitalisierung Stress erzeugt. Dabei gaben 69 Prozent aller digital Arbeitenden an, dass sie das Gefühl haben, sich ihren Aufgaben nicht mehr im angemessenen Zeitrahmen widmen zu können. 65 Prozent klagten über zunehmende Multitasking-Anforderungen. Kommen dann noch weitere Aspekte, wie ein gestörtes Arbeitsumfeld, Mobbing oder Probleme mit dem Vorgesetzten dazu, ist es bis zu der Diagnose Burn-out nicht mehr weit. Dies bestätigt auch eine Untersuchung der DAK aus dem Jahr 2015, nach der die Fehlzeiten durch psychische Belastungen in den letzten 20 Jahren um 300 Prozent gestiegen sind. Mittlerweile machen diese Erkrankungen 17 Prozent des Gesamtkrankenstands aus.

Gesetzgeber setzt auf Prävention
Mit dem im Jahr 2016 eingeführten Präventionsgesetz (PrävG) versucht der Gesetzgeber genau diesem Trend entgegenzuwirken. Das Gesetz beinhaltet neue Maßnahmen in den Bereichen Prävention, Gesundheitsförderung und Früherkennung von Krankheiten. Darüber hinaus ist bereits seit 2004 das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) in § 167 Abs. 2 SGB IX gesetzlich verankert. Es verpflichtet Arbeitgeber, BEM langfristig erkrankten Mitarbeitern anzubieten. In kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) ist Prävention und BEM aber selten gelebte Praxis, da das entsprechende Know-how und qualifiziertes Personalmeist nicht vorhanden sind. Betriebswirtschaftlich sinnvolle und medizinisch mögliche Wiedereingliederungsmaßnahmen bleiben somit ungenutzt. Für den Arbeitgeber kann dies zu erheblichen Mehrbelastungen führen. Schreitet die Krankheit eines Arbeitnehmers nämlich fort, ist die betreffende Stelle faktisch unbesetzt. Versucht man nun die entstehende Lücke durch verbliebene Mitarbeiter auszugleichen, ist die nächste Krankheitswelle vorprogrammiert. Eine Neubesetzung wiederum ist zeitaufwendig und teuer. In Deutschland schätzt man die Kosten, die Unternehmen durch krankheitsbedingte Ausfälle der Mitarbeiter entstehen, auf rund 130 Milliarden Euro jährlich.

Care Management wirkt
Diese Kosten wären in Teilen durchaus vermeidbar. Mit speziellen Beratungsangeboten für betroffene Arbeitnehmer könnten langfristige Ausfälle vermieden oder frühzeitig gemildert werden. Eine schnellere Wiedereingliederung wäre das Ergebnis. Viele Unternehmen in den USA nutzen daher bereits seit Jahren sogenannte Employee-Assistance-Programme (EAP). Ein EAP dient dazu, Arbeitnehmer bei beruflichen und privaten Problemen qualifiziert zu beraten. Deutschland steht hier noch am Anfang. Innovativ sind in diesem Zusammenhang auch Kombinationsangebote, die eine Beratungs- und eine Absicherungskomponente enthalten. Zu Beginn der Krankheit erfolgt eine persönliche Begleitung des Arbeitnehmers (Care Management) durch einen sogenannten Case Manager. Grundlage ist eine qualifizierte Beratung durch ausgebildete Fachkräfte, die der Unterstützung im Genesungsprozess und der Reintegration dienen soll. Sollte im Laufe des Care Managements erkennbar werden, dass eine Wiedereingliederung nicht möglich ist und die Krankheit zu einer dauerhaften Erwerbsminderung oder Invalidität führt, erhält der betroffene Arbeitnehmer eine entsprechende Absicherung durch den Arbeitgeber.

Der vergessene Bedarf in der bAV
Hier kommt die betriebliche Altersversorgung (bAV) zum Einsatz. Sie ist seit Jahrzehnten ein adäquates und personalpolitisch erfolgreiches Instrument, um Mitarbeiter-Benefits im Unternehmen zu verankern. Leider sind die Vorteile der bAV im Bereich der KMU noch nicht flächendeckend angekommen - und insbesondere Invaliditätsleistungen sind bislang nur selten Bestandteil der bAV-Angebote des Arbeitgebers. Auch die Reform der bAV durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz hat dies nicht geändert, die Invaliditätsabsicherung ist nicht verbessert. Dies überrascht umso mehr, wenn man sich die Situation in der gesetzlichen Rentenversicherung anschaut. 2016 betrug die monatliche durchschnittliche Rentenhöhe bei voller Erwerbsminderung 776 Euro und bei einer teilweisen Erwerbsminderung 503 Euro. Die Rentenhöhe der Neurentner (erstmalig ab 2016) bei einer teilweisen Erwerbsminderung betrug im Durchschnitt nur 398 Euro. Erschreckend: Die Zahl derer, die trotz voller Erwerbsminderungsrente Grundsicherung benötigen, hat sich von 2003 bis 2015 mehr als verdreifacht. Betroffen war 2015 bereits jeder fünfte Erwerbsminderungsrenten Bezieher. Der Sozialverband VdK nennt die Erwerbsminderung ein Armutsrisiko. Wenn Menschen wegen einer schweren Krankheit oder Behinderung vorzeitig in Rente gehen müssen, seien sie im Schnitt erst 50 Jahre alt. Die Betroffenen müssten damit rechnen, dass ihnen jahrzehntelang ein Leben in prekären Verhältnissen und ohne Perspektive droht – der vergessene Bedarf.

Ansehen erhöht, Fehlzeiten verringert
Ein fürsorglicher Arbeitgeber kann durch die Einführung einer bAV, die diesen vergessenen Bedarf mit abdeckt, seine Attraktivität am Arbeitsmarkt spürbar erhöhen. Der Markt bietet mittlerweile betriebliche Einkommenssicherungskonzepte, die eine kollektive Absicherung ganzer Belegschaften vorsehen und dabei kostengünstig und einfach zu verwalten sind. Die zusätzliche Einbindung eines professionellen Care Managements kann auf lange Sicht Fehlzeiten und Ausfallkosten reduzieren. Darüber hinaus verschafft die bedarfsgerechte betriebliche Einkommenssicherung seinen Arbeitnehmern die Sicherheit, im Fall von Invalidität den gewohnten Lebensstandard aufrechterhalten zu können – eine Win-win-Situation für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Zur Person
Siegfried Hischke
Head Employee Benefits, elipsLife Deutschland